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Arad Dabiri - 1 - NULLKOMMAEINS! (ready)
31 October 2024
Ein dunkler Raum, ein Stapel ungelesener Bücher, krumme Haltung, der Rücken wird es nicht verzeihen, Anspannung, Konzentration, zusammengekniffene Augen vor einem grellen Display. Durch die Arbeitsbrille lese ich mir nochmal alles durch. Wem oder was hatte ich da vor längerer Zeit einfach gedankenlos zugesagt?
Bret meinte, es wäre etwas Neues. Ich solle dem Ruf folgen. Regeln gehorche ich in der Regel aber nicht, also wieso sollte ich einem Ruf dann folgen, nur weil es die Höflichkeit, das Worthalten verlangt?
Okay, verrannt.
Ich muss zurück in mein Büro, das da eigentlich mein Wohnzimmer (und Schlafzimmer zugleich) ist. Abgedunkelt, jetzt, im Finstern, mein Blick starr gerichtet auf das Programm des Festivals, die Buchstaben der Sätze. Das ist meine Arbeit. Also raff dich auf, benimm dich. Und hör auf Bret.
Bret, mein persönlicher amerikanischer Psycho, einfach unwiderstehlich, glamourös, imperial, aber auch ausgelaugt, die Falten im Gesicht, die blutunterlaufenen Augen, die exzessiven Jahre in die Fresse geschrieben. Trotzdem ist er da. Für mich.
»Freust du dich?«
Was weiß ich.
»Was weiß ich.«
»Sei mal lieber vorsichtig.«
Hä?
»Warum denn jetzt – du hast mir doch geraten hinzufahren?«
»It’s still the Literaturbusiness, Junge.«
»Jetzt also wieder zynisch sein, niemandem vertrauen?«
Bret hält sich nicht zurück. Nicht mit seinen Worten, auch nicht mit seinen Süchten. Er zündet sich also vor mir eine Zigarette an.
»Nicht hier, hier schlafe ich, siehst du das Bett nicht?«
Er ascht auf den Boden. Auf den Boden, den ich Barfuß betrete. Jeden Tag. Da ascht er einfach hin. Ich mag ihn, auf eine komische Art verehre ich ihn sogar. Aber grade ist er ein Arschloch.
Aber, aber.
Dann Nicken.
Wir gehen in meine Küche.
»Also, vielleicht lerne ich da ja gute Leute kennen?«
»Ja, vielleicht.«
Zögern. Zu viel Zeit. Ich kenne ihn. Zögern und zu viel Zeit bedeuten nichts Gutes.
»Vielleicht.«
»Ja, vielleicht?«
»Vielleicht eben auch nicht.«
Toll, danke, er: die Weisheit, ich: der Löffel, und jetzt: Fressenszeit.
»Es geht um Austausch. Andere Sprachen. Texte. Denken. Der ganze Scheiß. Es ist eine neue Erfahrung. Schau dich um. Ich komm mal raus, aus dieser Wohnung, aus dieser Stadt. Und gottseidank geht’s mal nicht nach Berlin.«
»In Berlin kann man wenigstens noch vernünftig kaputtgehen!«
»Aus deiner Los-Angeles-Sicht siehst du alles verkorkst.«
»Alles verkokst.«
Er lacht über seinen eigenen Spruch. Plötzlich ist er der kleine Junge, und ich der Reife.
»Wieso bist du denn so negativ?«
»Realistisch!«
Bret lehnt sich aus dem Fenster, sieht in den Hof. Hier ist alles schön ruhig, morgen wird alles so laut. Aber das ist okay.
»Es ist Vernetzung. Kommunikation. Neue Erfahrungen sammeln. Bret, ich bin doch noch am Start meiner Reise. Unser Größenwahn ist zwar auch am Start. Aber, keine Ahnung, vielleicht sollte ich jetzt nicht stehenbleiben. Sondern alles mitnehmen. Alles probieren. Alles erleben. So wie du es dir gewünscht hast.«
Blick auf den Boden, nicht mehr in den Hof. Was ist denn jetzt los?
»Was ist denn jetzt los?«
»Du darfst dich nicht verändern.«
»Werde ich nicht.«
»Und nicht anpassen.«
»Werde ich nicht.«
Wieder Blick zu mir.
»Gut. Hast du schon einen Dealer vor Ort?«
Bret, immer wieder Bret.
»Ich bleibe ich. Aber so das volle Paket müssen die jetzt nicht abbekommen.«
Abstürzen in Den Haag steht nicht auf meiner Bucketlist.
»Tu mir einen Gefallen.«
»Alles, Bret. Für dich: alles.«
»Mach, dass man dich nicht vergisst.«
That’s it.
Schnitt.
Also, ab auf die Freeways, fest ins Pedal, ein Tritt, ein Wochenende, eine Reklametafel.
Ich kann die Schrift lesen.
Bret fährt. Schwarze Sonnenbrille. Sonnengeblendet.
Blick zu mir. Zu lange. Zu intensiv. Aber friedlich.
Ein letzter Satz, bevor es losgeht.
»Zeig dich und wer du bist.«
Ja, ich zeige mich.
Und wer ich bin.
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